Statistische Wahrheiten – oder wie das Rauchen zur wichtigsten Ursache von Krebs hochstilisiert wird
«Ich vertraue darauf, daß auch das Unwahrscheinliche passiert. Rein statistisch muss es etwas auf der Welt geben, das all die unwahrscheinlichen Sachen passieren lässt.»
Die Behauptung, daß ‹Statistiken lügen›, gilt heute genauso als Allgemeinplatz wie der Satz, daß ‹Politiker korrupt sind›. Trotzdem gehen wir immer noch wählen und glauben den Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Tatsächlich lügen Statistiken auch nicht, vielmehr produzieren sie Wahrheit. Eine Wahrheit, die an den Interessen der Auftraggeberinnen und Auftraggeber ausgerichtet ist. Sie tun dies indem sie selektiv nur spezifische Faktoren als relevant untersuchen, andere bei Seite lassen und bestimmte Faktoren, aufgrund der Unmöglichkeit sie zuzuordnen, ganz vernachlässigen.
Die meisten Krankheiten werden z.B. von einer Vielzahl von Faktoren ausgelöst. So kommt es zum Herzinfarkt durch Stress, falsche Ernährung, zu wenig Bewegung, zuviel Kaffee, Rauchen und viele andere Faktoren. Untersucht werden von all diesen Faktoren je nach Interesse der Auftraggeber und Auftraggeberinnen nur einzelne aber nie alle. Dies würde auch jede statistische Untersuchung überfordern. Die Untersuchung wird also bewusst aufgrund eines bestimmten politischen Interesses finanziert und entsprechend richtungsgebunden angelegt.
So besteht staatlicherseits ein Interesse, die Verantwortung für Krankheiten zu individualisieren und vom Politikversagen im Bereich des Umweltschutzes und der Lebensmittelproduktion abzulenken. Gefördert wird durch den Staat also besonders die Erforschung solcher Faktoren, wie Rauchen oder zu fettiges Essen, die im individuellen Verhalten der Einzelnen ihre Ursache haben, während die Erforschung von Ursachen wie Armut oder Umweltverschmutzung, die auf eine verfehlte staatliche Politik zurückzuführen sind, nur mangelhaft finanziert wird.
Darüber hinaus, ergibt sich sehr schnell das Problem, daß bestimmte Einflüsse, wie Stress statistisch nur schwer erfassbar sind. Denn in welcher Maßeinheit soll ich Stress messen? Und wie stelle ich objektiv fest, wieviel Stress eine Herzinfarktpatientin ausgesetzt war? Auch bei der Ernährung, insbesondere bei Nahrungsmittelzusätzen, ist dies nicht einfach, denn woher weiß ich, was eine Patientin im Laufe ihres Lebens so und nicht anders gegessen hat. Ergebnisse aus Tierversuchen kann ich bekanntlich nicht einfach auf Menschen übertragen. Noch schwieriger wird es, wenn ich individuelle körperliche Eigenheiten berücksichtigen will oder psychische Zustände. Dies ist mit den Methoden der statistischen Wissenschaft ausgeschlossen. Die statistische Methodik führt somit dazu einzelne Faktoren, wie zum Beispiel das Rauchen, einfach den einzelnen Menschen zuzuordnen, deren Erforschung im Interesse bestimmter Geldgeber liegt, über zu bewerten, wohingegen Einflüsse, wie z.B. Stress, die sich nur schwer erfassen lassen oder deren Erforschung nicht im Interesse der wirtschaftspolitischen und industriellen Financiers liegt, unzulässig vernachlässigt werden. Alle Einflüsse, die quantitativ nicht erfassbar oder nicht zuzuordnen sind oder einfach nicht erfasst wurden, werden nicht berücksichtigt.
Außerdem werden komplizierte Zusammenhänge meist grob vereinfacht. Würde z.B. eine bestimmte Form des Herzinfarkts nur ausgelöst, wenn eine spezifische Form von Stress, mit der längeren Aufnahme bestimmter Nahrungsmittelzusätze und einem hohen Kaffeekonsum zusammenkommen, würde dies statistisch sicherlich nicht erfasst. Allein schon deshalb, weil im Regelfall die Menschen nicht einmal selbst wissen, was so alles in den Lebensmitteln drin war, die sie oder er die letzten Jahrzehnte gegessen hat. Die Mehrzahl der Ursachen aus der Gesamtheit des Ursachenbündels, das eine Krankheit verursacht, wird so von der statistischen Wissenschaft unter den Teppich gekehrt.
Ich will dies im Folgenden an drei Beispielen noch einmal genauer ausführen; den Auswirkungen radioaktiver Verschmutzung, der Gentechnologie, und dem Rauchen.
Radioaktive Belastung kommt auf sehr unterschiedliche Art und Weise zustande. Alle Menschen sind ihr ganzes Leben lang einer radioaktiven Belastung aus vielen verschiedenen Quellen ausgesetzt, ohne dies zu wissen. Die radioaktive Belastung entstand und entsteht durch Atombombenfallout, durch die radioaktive Verschmutzung des Tschernobyl-Unfalls, durch radioaktiven Abraum aus Bergwerken, durch die Industrie der Atomenergie, durch die Radonbelastung beim Duschen mit Tiefengrundwässern, durch die medizinische Praxis, insbesondere beim Röntgen, durch die Verwendung radioaktiver Baumaterialien, durch Höhenstrahlung bei Trans-Atlantik-Flügen und weitere Strahlungsquellen. Dadurch kommt es zu einer nicht mehr im Detail zuordenbaren Querschnittsbelastung der Bevölkerung, die einem breit gestreuten Auftreten von Krebs gegenüber steht. Eine statistische Zuordnung ist faktisch unmöglich. D.h. es ist nicht möglich einem Krebspatienten, einer Krebspatientin eine spezifische radioaktive Belastung, soweit sie ein bestimmtes Grundrauschen all der genannten Quellen nicht wesentlich überschreitet, also nicht wesentlich über der durchschnittlichen ’normalen› radioaktiven Belastung in modernen Industriegesellschaften liegt, überhaupt diesem Patienten, dieser Patientin zuzuordnen. Es ist kaum möglich festzustellen, welche Baumaterialien in den Wohnungen und Arbeitsstätten der an Krebs Erkrankten verwendet wurden. Die wenigsten wissen, ob sie zur Zeit der Tschernobyl-Katastrophe gerade Pilze gegessen haben oder im Regen spazieren gegangen sind. Es ist unmöglich auszuschließen, daß es in ihrem Lebensumfeld, z.B. auf einem Ausflug an die Elbe, zu radioaktiven Belastungen durch einen «Auslegungsstörfall» in einem Kernkraftwerk gekommen ist. D. h. es ist gar nicht feststellbar, welcher radioaktiven Belastung diese Menschen ausgesetzt waren. Dadurch ist eine Zuordnung von Krebs zu einer dieser Belastungsquellen als Verursacher oder Auslöser mit statistischen Methoden praktisch unmöglich, denn dazu müssten die Quellen isoliert und dem Erkrankten zugeordnet werden können.
Da Krebs multikausal verursacht wird, also durch verschiedene Ursachen die parallel auftreten, durch Rauchen, durch Chemie, aber eben auch durch die alltägliche radioaktive Belastung, wird die radioaktive Alltagsbelastung auf diese Weise bei jeder statistischen Untersuchung auf unzulässige Weise vernachlässigt. Es ist aufgrund der Unwissenheit über die Dosis unmöglich sie statistisch zu erfassen. Statistisch ist damit nicht feststellbar, ob der Krebs z.B. auch durch niedrige Dosen von Radioaktivität, die über einen langen Zeitraum gewirkt haben, verursacht wurde oder nicht. Denn um statistisch eine Aussage darüber zu treffen, müsste diese Belastung überhaupt erst einmal bekannt sein, und es wäre eine Vergleichsgruppe in der Bevölkerung nötig, von der mit Sicherheit bekannt sein müsste, daß sie nicht von Radioaktivität betroffen ist und die ansonsten aber unter identischen Lebensumständen gelebt hat. Eine solche gibt es aber nicht.
Selbst wenn jährlich hunderttausend Menschen als Folge der niedrigen, aber alltäglich wirkenden radioaktiven Strahlung in unserer Umgebung an Krebs sterben würden, würde dies statistisch in diesem Grundrauschen vielfältiger sich überlappender Belastungsquellen untergehen.
Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute feststellen, daß eine Gefährdung durch die ‹geringe› aber alltägliche radioaktive Belastung unserer Lebenswelt nicht festgestellt werden kann, ist dies deshalb korrekt. Umgekehrt gilt aber auch, daß eine Gefährdung in sehr großen Größenordnungen auch nicht ausgeschlossen werden kann. Wo sollte auch für eine statistische Erfassung die notwendige, unbelastet lebende, Vergleichsgruppe mit ansonsten annähernd gleichen Lebensbedingungen gefunden werden? Dies ist halt nur bei Faktoren die lokal begrenzt sind, oder wie das Rauchen auf individuellen Entscheidungen basieren, möglich.
Die statistische Wissenschaft an sich führt so im Interesse der Industrie und Politik zur Verharmlosung all der Faktoren bei, die aus der allgemeinen Umweltverschmutzung, der industriellen Lebensmittelproduktion, der Umsetzung gesellschaftlicher Hygienestandards (Haushaltschemie), der allgemeinen Verwendung karzinogener Substanzen bei Hausbau und Renovierung, u.a. herrühren. Faktoren wie das Rauchen werden hingegen notwendigerweise strukturell weit überbewertet. Und viele Tabakgegner arbeiten der Industrie und Politik bei dieser Verharmlosung von Umweltverschmutzung und Gesundheitsrisiken auch noch zu.
Aber kommen wir zum Rauchen. Allgemein wird der Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs als gesichert hingenommen, bei Frauen insbesondere im Zusammenhang mit Brustkrebs. Nun tritt aber in China das Phänomen auf, daß dort, bei gleichem Rauchverhalten, wesentlich geringere Brustkrebsraten auftreten. Und ähnliches, wenn auch nicht so ausgeprägt, bei Lungenkrebs zu beobachten ist. Dies bedeutet aber, daß es nicht das Rauchen alleine ist, welches den Krebs auslöst. Dies scheint erst einmal trivial. Nur wenn andere Faktoren bewirken, daß Rauchen gar nicht diese Auswirkung hat, kann dann überhaupt davon gesprochen werden, daß Rauchen die Ursache von Krebs ist?
Für die europäische und die US-amerikanische Durchschnittsbürgerin gilt, daß sich mit Rauchen ihr Krebsrisiko erhöht. Das Konstrukt der Durchschnittbürgerin ist dabei aber eine rein mathematische Fiktion, real gilt wohl für alle recht unterschiedlichen Menschen je etwas anderes. Wenn nun das Krebsrisiko, wie dargestellt, nicht auf das Rauchen alleine zurückzuführen ist, ist es eine politische und interessengeleitete Entscheidung, welche Faktoren in einer multikausalen Kette als relevant hervorgehoben werden und welche als feststehende Größen vorausgesetzt werden.
Wenn ein Staudamm überläuft, war er vielleicht zu niedrig gebaut, oder es hat zu stark geregnet, oder es wurden zu viele Flüsse begradigt, oder zu viele Wälder abgeholzt, oder zuviele Böden versiegelt, oder es wurde nicht rechtzeitig genug Wasser abgelassen, oder, oder, oder…
Welche Faktoren bezüglich Krebs als natürlich und fest angesehen werden, z.B. europäische Lebensmittel mit vielfältigen gesundheitsgefährdenden Zusatzstoffen, niedrigenergetische Strahlung, Luftverschmutzung, Arbeitsbelastung usw., hängen von der Interessenlage ab, die sich in der Forschung widerspiegelt, und von der Art der Faktoren selbst. Denn nicht alle Einflüsse sind, wie auch in den anderen Beispielen ausgeführt, messtechnisch einfach erfassbar.
So lässt sich relativ einfach erheben ob Krebspatientinnen oder -patienten geraucht haben, zu erheben welche Lebensmittelzusatzstoffe sie in welchen Mengen zu sich genommen haben, ist aber auch statistisch, wie schon dargestellt, faktisch unmöglich. Auch bei der niedrigen alltäglichen radioaktiven Strahlung, wie ausgeführt, und einer Reihe weiterer Einflüsse gilt ebenfalls, daß sie statistisch nicht erfassbar sind. Diese fallen als Ursachen bei der wissenschaftlichen Auswertung deshalb einfach unter den Tisch. Würde z.B. Krebs wesentlich durch geringe Dosierungen bestimmter Lebensmittelzusätze über einen Zeitraum mehrerer Jahrzehnte ausgelöst, so würde dies nicht erfasst werden können.
Somit lässt sich sagen, daß Rauchen bei einem Teil der Menschen in Europa unter den normalerweise gegebenen Lebensbedingungen Krebs erheblich begünstigt. Das ist aber genauso, wie die Rede von den Dämmen die zu niedrig gebaut sind, wenn ich gleichzeitig über Ökologie, Industriewachstum, Tourismus u.a. nicht reden will.
Ich will hier auch noch kurz auf die aktuellen und sehr viel gefährlicheren Auswirkungen der statistischen Beweisführung im Zusammenhang mit der Genetik kommen. Hier zeigt sich eine Parallele zur Antirauchideologie. Schaut man sich die Funktionsweise statistischer Beweisführungen im obigen Sinn kritisch an, so lässt sich der Umbau der medizinischen Diagnostik hin zur genetischen Diagnostik zum Teil als Antwort auf die Zerstörung der Lebensbedingungen der Menschen betrachten. D.h. der Ausbau dieser Diagnostik dient nicht zuletzt der Rückführung von Krankheiten aller Art auf genetische Ursachen, um auf diese Weise die tatsächliche Verantwortung der Industrie und der Folgen ihrer Produktionsweise auszublenden.
Die genetische Zuweisung und eugenische Selektion ist insofern die logische Fortsetzung der Antirauchpolitik.
Das ‹Wissen› der Genetik basiert fast ausschließlich auf langwierigen Folgerungsketten auf statistischer Basis. Sogenannte «genetische Dispositionen» werden aus der Analyse statistischen Materials konstruiert. Auch für die «genetischen Dispositionen» gilt, daß sie ähnlich gut statistisch zu handhabende Faktoren sind wie das Rauchen, ihr Auftreten oder Nichtauftreten ist Personengruppen eindeutig zuzuordnen. Wenn die Wissenschaft in Zukunft alle möglichen Erkrankungen auf «genetische Dispositionen» zurückführen wird, wird dies eben an dieser statistischen Eigenschaft genetischer Faktoren und ihrer daraus resultierenden Überbewertung liegen, während alle anderen Einflüsse, die statistisch nur schlecht zu erfassen sind, außer Sicht geraten. Die Folgekosten der Auslagerung von Produktionskosten auf die Umwelt, z.B. durch steigenden Güterverkehr, Luftverschmutzung und weitere Zerstörung der Ozonschicht, mit den medizinischen Folgekosten werden so individualisiert. Industrie, Aktionäre und Aktionärinnen werden sie nicht bezahlen müssen, im Gegenteil, mit der genetischen Medizin lassen sich zusätzliche Gewinne verbuchen. Allergische Erkrankungen der Atemwege werden dann zunehmend auf das Rauchen und eben eine «genetische Disposition» zurückgeführt werden. Der industrielle Dreck, der in die Luft geblasen wird, wird nicht mehr thematisiert.
[Fortsetzung, morgen Sonntag]
revised by Carolus Magnus