GEDANKEN ZUM HEUTIGEN NATIONALFEIERTAG
Die Schweiz, eine Nation von Fremdenhassern?
Des Schweizers Xenophobie lässt sich vorzüglich zum Stimmenfang einer jeden Partei nutzen. Sie ist des Schweizer Achillesferse.
und
Kühe, Alpenmilchschokolade, innere Stabilität, Schweizer Friedlichkeit und Gemütlichkeit, so sehen uns noch viele Menschen aus dem EU-Raum. Kaum einem Europäer fällt auf, dass er da seinen Vorurteilen frönt. Zwar wurde das Gebaren von Christoph Blocher im uns umgebenden Ausland wahrgenommen. Vielen hingegen ist bis heute entgangen, dass in der Schweiz bereits seit 1970, also um einiges früher als in den europäischen Staaten, fremdenfeindliche Kampagnen und eine, im negativen Sinne rechtspopulistische Bewegung entstand. Die Entstehung der modernen europäischen Fremdenfeindlichkeit begann nachgewiesenermaßen in der Schweiz.
Die Nationale Aktion um James Schwarzenbach forcierte am 7. Juni 1970 eine Abstimmung gegen die Ausländer. Wäre die sogenannte «Überfremdungs-Initiative» damals angenommen worden, hätten 300’000 Ausländer oder 50 Prozent, hauptsächlich Italiener, ausgeschafft werden müssen.
James Schwarzenbach, charismatischer Führer, geboren 1911 als schwarzes Schaf einer Zürcher Industriellenfamilie wollte damals die «Identität» der Schweiz bewahren und die «ewige und bewaffnete Neutralität», verteidigen sowie den Mittelstand vor dem Großkapital schützen. Der damalige Umbruch im Gefolge der rebellischen 68er Jahre [***] mit ihrem heute lächerlich anmutenden «Sittenzerfall» und die vielen Gastarbeiter aus Italien, die zum Teil unter unmenschlichen Bedingungen in Baubaracken untergebracht waren, die uns jedoch unsere unangenehmsten Arbeiten verrichteten, wurden von den Anhängern Schwarzenbachs angefeindet, gedemütigt und sogar an Leib und Leben bedroht. Die Fremdenpolizei witterte Kommunismus und Störung der sozialen Ordnung und die Gewerkschaft sah in ihnen Lohndrücker. Integration der von der Wirtschaft importierten Arbeitskräfte ist allenfalls als Assimilation an die «schweizerische Wesensart» erwünscht.
In einem unfreiwillig komischen Leitfaden für die Einbürgerungsbehörden hält ein Polizeioffizier als Voraussetzung der Einbürgerung fest, dass «der bei uns anwesende Ausländer nicht mehr auffällt, uns nicht mehr befremdet und seine Umgebung nicht mehr realisiert, dass es sich um einen Ausländer handelt».
Das Ziel der Initiative Schwarzenbachs war die Limitierung der Immigranten. Die Gegner seiner Kampagne – Unternehmer, Gewerkschaften, Behörden, Parteien und Medien – argumentieren vor allem mit den negativen wirtschaftlichen Folgen eines solchen Exodus. Gegen die Übermacht des Nein positioniert Schwarzenbach sich zum Einzelkämpfer und Vertreter des «kleinen Mannes».
Dass er damit 42 Prozent Ja-Stimmen erreichte, liess ihn als moralischen Sieger erscheinen – zumal die Behörden die «Überfremdung» ebenfalls für real und Maßnahmen für dringend notwendig erklärten. In der Wirtschaftskrise der siebziger Jahre entspannte sich dann die Situation, da Hunderttausende arbeitslos gewordene Ausländer die Schweiz «freiwillig» verlassen. Weitere Initiativen gegen «Überfremdung» blieben chancenlos, und Schwarzenbach zog sich aus der Politik zurück.
Einige seiner engsten Mitstreiter, darunter Ulrich Schlüer, Herausgeber der »Schweizerzeit« schließen sich später Blochers SVP an und machen dort Karriere. Wichtiger als diese personellen sind aber die ideologischen Kontinuitäten. Die Objekte des Hasses sind andere – an die Stelle der italienischen Fremdarbeiter sind die «Asylbetrüger» aus unterschiedlichen Teilen der Welt getreten. Insbesondere der aggressive Stil der SVP erinnert an Schwarzenbachs Initiative und seine verschiedenen Parteiprojekte.
Blocher hingegen ist nicht bloß, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte, eine Kopie von James Schwarzenbach. Beide sind wohl bis in die tiefste Seele Rechtspopulisten, Schwarzenbach hingegen war ein echter «Überzeugungstäter», während Blocher in Bezug auf die Ausländer- und Asylthematik einfach ein Opportunist ist. Er merkte mit dem Gespür eines Pfaffensohnes sehr genau, wo die Schäfchen, resp. die Stimmen zu holen waren. Gleichzeitig ging er, anders als sein Vorgänger James Schwarzenbach, «fast brutal autoritär» und «ohne innere Bremse» vor, so ein ehemaliger Weggefährte von Blocher.
Quelle: Thomas Buombergers neues Buch.
Link: Einwanderungsgeschichte der Schweiz
Aus dem Schweizer Schulfernsehen
Zusatzmaterial SF Schulfernsehen siehe www.schulfernsehen.ch/zusatzmaterial
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Besprochen in AS 1/2007
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Begleitmaterial: Ursula Freitag
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«Wir riefen Arbeitskräfte – und es kamen Menschen» schreibt der Schweizer Schriftsteller Max Frisch angesichts der Fremdarbeiter, die während der Hochkonjunktur der Sechzigerjahre in die Schweiz strömen.
Die allermeisten kommen aus dem südlichen Nachbarland Italien.
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Bis 1970 steigt der Ausländeranteil auf nahezu 20 Prozent der Wohnbevölkerung in der Schweiz.
Rund 500:000 Italiener helfen, den Schweizer Wohlstand aufzubauen. Meist als Saisonniers. Das heisst: Neun Monate arbeiten in der Fremde ohne Familiennachzug, dann wieder zurück in die Heimat, jedes Jahr aufs Neue.
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1970 ist die Überfremdungsangst bei vielen Eidgenossen auf dem Höhepunkt angelangt. James Schwarzenbach ist der erste Politiker in Europa, der rigoros gegen Ausländer vorgeht: Mit seiner Initiative will er die Hälfte der Fremdarbeiter nach Hause schicken. (-2:57)
Die laute, lebensfrohe Art empfinden viele brave Schweizerinnen und Schweizer als direkte Bedrohung.
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In diesem Klima hat er seinen Auftritt: James Schwarzenbach, der Biedermann als Brandstifter. Der Sprössling aus einer der reichsten Schweizer Familien rüstet gegen die Überfremdung von Volk und Heimat. (-4:17)
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James Schwarzenbach gebärdete sich als Volkstribun. Geschickt wusste er an patriotische Gefühle zu appellieren und latente Existenzängste zu schüren.
Bei seinen Auftritten wie bei dieser 1. August-Feier auf der Zürcher Forch kam es immer wieder zu Tumulten und Schlägereien zwischen seinen Gefolgsleuten und Gastarbeiter-Freunden.
Der Urnengang am 7. Juni 1970 hatte mit 74 Prozent eine der höchsten Stimmbeteiligungen. Und das Schlussresultat war ganz knapp gegen Schwarzenbach. Die Fremdarbeiter durften bleiben.
Der Achtungs-Erfolg der Schwarzenbach-Initiative spülte die Fremdenhetzer in den Nationalrat. (- 9:55)
Schwarzenbach war auch der erste Schweizer Politiker, der das Fernsehen geschickt für seine Propaganda einzusetzen wusste.
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Dort wo sie hereindrängten in den 60er Jahren, im Hauptbahnhof Zürich, dort ist einer hängen geblieben.
Unten, in der heutigen Einkaufspassage, betreibt die Familie Marinello in der dritten Generation ein italienisches Delikatessengeschäft. Weitere 10 Läden sind auf ganz Zürich verteilt. (-11:44)
One thought on “Schweizer Xenophobie”