Länger gesünder arm
Dass sich Regierungen so vehement auf Anti-Raucher-Kampagnen und andere Aspekte der Gesundheitspolitik konzentrieren, hält der britische Soziologe Frank Furedi für eine Folge ihres Bedeutungsverlustes. Wenn der Nationalstaat andere, traditionelle Aufgaben nicht mehr erfüllen kann oder soll, wenn seine Rolle als Wohlfahrtsstaat unter dem Diktat globaler Wirtschaftszwänge schrumpft, dann müsse er seine Autorität auf anderen Wegen legitimieren: Er verlege sich auf eine «Politik des Verhaltens». An die Stelle der verloren gegangenen großen, gesamtgesellschaftlichen Agenda tritt für Furedi mehr und mehr eine Politik, die individuelle Handlungen und Verhaltensweisen reguliert – die Rolle des Staates wird so neu definiert als eine Art Gouvernante, die nur das Beste für ihre Bürger will, zur Not auch gegen deren Willen. Böse gesagt:
Der Staat zahlt zwar weniger Arbeitslosengeld, aber er sorgt dafür, dass seine Bürger ein längeres, weil gesünderes Leben in Armut führen können.
Das Wort vom «Nanny State» ist in Großbritannien schon gang und gäbe. Der Preis: «Je mehr wir Kampagnen zu Themen wie dem Rauchen fahren, desto mehr werden wir von unserer Gesundheit besessen und desto mehr verlieren wir unsere breitere politische und gesellschaftliche Vorstellungskraft», sagt Furedi.
«Indem wir uns den Ängsten um unsere Gesundheit aussetzen und entsprechenden Regeln unterwerfen, geben wir zudem ein Stück weit die Kontrolle über unsere Entscheidungen und unser Leben ab.»
Dabei ist Kontrolle gerade etwas, was die Anti-Raucher-Kampagnen versprechen. Die Tabakbekämpfung, so argumentiert die Historikerin Cassandra Tate, übernimmt in den westlichen Gesellschaften auch eine Art Alibifunktion: «Sie ist ein relativ handhabbares Thema. Wenn die Welt außer Kontrolle zu sein scheint, dann kontrolliert man eben, was man noch kann.» Der Staat und seine Bürger können sich so ihre eigene Handlungsfähigkeit beweisen:
«Man weiß vielleicht nicht, wann und wo der nächste Terrorangriff stattfinden wird oder ob man seinen Job verliert, aber man kann, verdammt noch mal, den Menschen neben sich dazu bringen, seine ekelhafte Zigarette auszudrücken.»
Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist dieser Mensch inzwischen einer, der den unteren Gesellschaftsschichten angehört. Über die Gesundheitspolitik hält auch die Klassenfrage wieder Einzug in die Moral. Entscheidenden Einfluss darauf, ob jemand raucht, üben seine gesellschaftliche Umgebung, sein Einkommen und sein Bildungsgrad aus Mittel- und Oberschicht sind viel empfänglicher für gesundheitspolitische Botschaften. Das lässt sich schon an den weit auseinander klaffenden Raucherquoten zwischen Realschulen und Gymnasien ablesen, und die klassenspezifische Trennung setzt sich bei Erwachsenen fort. Als Faustregel kann gelten: Je höher das Einkommen, desto niedriger die Raucherquote.
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