Freiheit und Rücksichtnahme (1)

Freiheit und Rücksichtnahme

«Da ich völlig disziplinlos bin, ist mein Ziel ein freies Zusammenleben aller. Und andere zu schikanieren finde ich einfach zu anstrengend.»

Des puritanischen Baptisten Albtraum

Jede meiner Lebensäusserungen, egal welche, schränkt potentiell die Freiheit anderer Menschen ein. Denn was immer ich auch tue, ich verbrauche damit Ressourcen, die nicht unbeschränkt zur Verfügung stehen. Mit jedem Schritt, den ich gehe, verändere ich meine Lebenswelt und damit auch die Lebenswelt Anderer.

Eine Skifahrerin stört mit ihren Loipen das ökologische Gleichgewicht, eine Autofahrerin stösst Abgase aus, ist für den Flächenverbrauch des Strassenbaus, für Tausende von Verkehrstoten und für das Verbrennen wichtiger Rohstoffe mitverantwortlich, ein Badender verschmutzt das Gewässer in dem er badet, Ferntouristinnen und Ferntouristen schädigen noch intakte Ökosysteme und ruinieren die Atmosphäre durch das hohe Luftverkehrsaufkommen, Menschen verbrauchen und verschwenden lebenswichtiges Wasser, das damit anderen nicht mehr zur Verfügung steht, und, und, und…

Es gibt keine Freiheit ohne die Einschränkung der Freiheit Anderer. Darum kann es nicht Ziel sein jegliche Einschränkung Anderer zu vermeiden, sondern Ziel muss der Ausgleich, die gleiche Belastung und Freizügigkeit für Alle sein. Das Problem dieser Gesellschaft sind nicht die Raucherinnen und Raucher, sondern die faktische Ungleichheit der Handlungsmöglichkeiten. Es ist völlig inakzeptabel, dass einige wenige sich auf Kosten der Allgemeinheit Freiheiten herausnehmen, bzw. diese sich erkaufen können. Was wir brauchen ist gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz unter gleichwertig Unterschiedlichen. Ich springe Dir nicht ins Gesicht, wenn Du mal wieder mit dem Auto fährst, Du akzeptierst mein Bedürfnis, häufig und lange zu baden und zu schlafen, und beide sind wir tolerant gegenüber Raucherinnen und Rauchern und anerkennen die unterschiedlichen Bedürfnisse der Anderen. Wichtig ist dass alle sowohl Einschränkungen hinnehmen, als auch Freizügigkeit beanspruchen können. Es muss ein gerechter Ausgleich in einer Gesellschaft von gegenseitiger Toleranz, Freiheit und Rücksichtnahme geben.

Veränderungen sollten dort einsetzen, wo sie nur geringfügig die Freiheit einschränken. So könnten viele überflüssige und unangenehme Arbeiten, z.B. übermässiges Putzen mit chemisches Haushaltsreinigern einfach unterlassen werden, oder die Produktion von Rüstungsgütern eingestellt werden, ohne das irgendeine in ihrer individuellen Freiheiten eingeschränkt würde.

Der Massstab muss dabei aber immer der individuelle Mensch und sein Empfinden bleiben. Es gibt keinen objektiven Massstab für menschliches Glück. Dies kann nur jeder einzelne Mensch für sich beurteilen. Und zwischen den unterschiedlichen Empfindungen und Wünschen braucht es deshalb einen Ausgleich, der nur in der Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Interessen stattfinden kann.

Rücksichtnahme und Toleranz heisst, ein gegenseitiges Eingehen auf die Bedürfnisse des Anderen, und nicht ein Bedürfnis billig als unnatürlich und krank abzuqualifizieren.

Freiheit gibt es nur als Freiheit, die mir erlaubt auch das für mich nach Meinung anderer Falsche und Schädliche zu tun. Freiheit ist immer die Freiheit zur Unvernunft. Jede Festlegung eines absoluten Richtig, einer absoluten Vernunft, führt letztendlich zur Unterdrückung all jener, die eine andere Lebensauffassung vertreten als die gerade vorherrschende.

Im Mittelalter galt es als unvernünftig sich die Erde nicht als eine Scheibe vorzustellen. Das heisst Freiheit, das ist auch das Recht auf Unsinn, das Ungesunde und den Schmutz. Nur wenn es erlaubt ist, sich auch anders zu entscheiden, gegen die Vernunft, gegen das, was gerade als Gesund angesehen wird, gegen die kulturell übliche Norm, gibt es überhaupt eine Freiheit. Denn der menschliche Leib, die leibliche Erfahrung, die Lüste und Interessen passen nicht in irgendein endgültiges und richtiges Raster, denn alles ist im Fluss der Zeit und ändert sich kontinuierlich.

Die Menschen als gesellschaftliche, kulturelle Wesen zeichnen sich gerade dadurch in ihrer Menschlichkeit aus, dass sie sich selbst immer wieder verändern, nichts endgültiges, nichts Festes oder Rigides an ihnen ist. Die Festsetzung der Menschen auf ein richtiges, gesundes Leben bedeutet damit letztendlich die Verneinung eben dieses Lebens. Was macht unser Leben aus, wenn nicht gerade die Dinge, wo wir nicht funktional, nicht wie Roboter handeln; nämlich die Liebe, die Lust, der Genuss, der Rausch, der Witz, das Lachen.

Seit Jahrhunderten bekämpfen bürgerlich spiessige Puritanerinnen und Puritaner dieses Leben, weil sie sich selbst nicht trauen eben dieses Leben für sich zuzulassen. Weil sie jeden Rausch, jede Liebesnacht, jeden Kontrollverlust als persönlichen Horror erleben. So versuchen sie, alles zu verbieten was diese «Gefahren» heraufbeschwören könnte. Sie hetzen und intrigieren gegen das Trinken, das Rauchen, gegen frei ausgelebte Sexualität, gegen spielende Kinder, gegen lärmende Jugendliche, gegen ästhetische Experimente, gegen radikale Gedanken, gegen das Lachen und gegen das Leben im allgemeinen. Unterstützung finden sie dabei von den Herrschenden, die nur allzu gerne diese Kontrollzwänge für ihre Zwecke instrumentalisieren.

In einer Disziplinargesellschaft, in der wir heute zum Teil leben, wird diese Kontrolle zur Selbstkontrolle durch das eigene Gewissen uns täglich werbepsychologisch eingehämmert, im Radio, am Fernsehen und in den Printmedien. Unsere Seele wird indoktriniert und krank gemacht. So kontrollieren sich denn die Arbeitenden selbst und sichern ihr Funktionieren. Auch Rauchen kostet nur Arbeitszeit. Am besten die Menschen hören auf zu rauchen, zu scheissen und Gefühle zu äussern, denn all dies stört nur den Arbeitsablauf. Freiheit bedeutet die Freiheit, sich disfunktional verhalten zu dürfen und zu können. Die wenigen Freiräume, in denen das in dieser Gesellschaft noch möglich ist, gilt es auch gegen die Antiraucherinnen und Antiraucher zu verteidigen.

Es ist deshalb ausgesprochen unverständlich, wie Menschen, die sich ansonsten für mehr Freiheitsrechte einsetzen, die Antirauchhatz unterstützen können, ohne sich ihren Widersprüchen gewahr zu werden, ohne sich darin zu verstricken? Wie können Menschen, die Freiheit wollen, diesen repressiven Totalitarismus unterstützen? Wie können sie die Medizinalisierung und totale Kontrolle immer weiterer Lebensbereiche fördern und gutheissen?

Ich denken, dass auch viele Menschen, die sich für Freiheit engagieren häufig ihre eigene Verstricktheit in Disziplinardenken und – strukturen nicht wirklich für sich aufgearbeitet haben. Die protestantische Erziehung fördert nach wie vor auch das Denken vieler fortschrittlicher Menschen und pflanzt die Gedanken des Puritanismus in ihre Köpfe. Viele Menschen, die sich für die Freiheit engagieren begreifen nicht, dass dies voraussetzt, sich gegen ein rein funktionelles Denken, ein Denken das nur eine instrumentelle Vernunft kennt und sonst nichts, zu verwahren. Sie haben auch häufig noch nicht begriffen oder die Gedanken noch nicht in Taten umgesetzt, dass Freiheit auch Lust auf Unvernunft bedeutet.

Das zentrale Problem dieser Gesellschaft ist nicht ein Zuviel an Unvernunft sondern ein Zuviel an zwanghafter, kalter Vernünftigkeit und der Gehorsam gegenüber einer rein funktional denkenden Wissenschaft, die damit stets an der Substanz des Lebens immer vorziehlt. Der Glaube an die Wissenschaft, insbesondere an die Medizin und ihr entsprechendes Menschenbild hat heute einen ähnlich religiösen Wahncharakter erreicht, wie der christliche Heilsglaube im Mittelalter zu Zeiten der Hexenverbrennung im 14. Jahrhundert, als auch die Pest wütete und Hebammen den Status eines Arztes innehatten. Das Leben wird heute wie damals vergessen. In ihrem Gesundheitswahn verlieren so die Antiraucherinnen und Antiraucher alles andere aus dem Blick.

Fortsetzung folgt morgen Montag

By Ada Frankiewicz, revised by Carolus Magnus

Carolus Magnus

Freidenker, Rebell und Nonkonformist schreibt provokativ, konzis, unkonventionell und unmißverständlich über/gegen das grassierende, genußfeindliche, puritanische Weltbild in unserer Gesellschaft. Stilmittel: Satire, Provokation, Humor, Karikatur und knallharte Facts. Ein MultiMediaMagazin für Jeden.

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