Ein Auszug aus einem Beitrag, den man unbedingt ganz durchlesen muss (inkl. Fallbeispielen)!
Die IV Revision vom 17. Juni 2007 ä» Und was geschieht mit den psychisch Belasteten?
Dr. phil. Lucien Schoppig, Institut für systemische Psychologie GmbH, Basel
Psychische Belastung am Arbeitsplatz ist nicht nur am betroffenen Individuum zu korrigieren. Psychische Belastung am Arbeitsplatz, die zu krankheitsbedingten Absenzen führt, erfolgt immer in einem sozialen Kontext. Sie «überkommt» die Betroffenen nicht plötzlich aus heiterem Himmel, wie ein Virus. Sie ist eingebettet in komplexe, sich stets verändernde und sich oft verschlechternde Arbeitsbedingungen. Das Erleben von Hilflosigkeit, verunmöglichter Einflussnahme auf Arbeitsorganisation und Abläufe, stetig zunehmender Kontrolle und das Einfordern von einseitiger Flexibilität geschieht in einem zwischenmenschlichen Kontex
Es ist die gelebte Unternehmenskultur, wie Beziehungen gestaltet werden, wie Mitarbeitende untereinander und mit Vorgesetzten umgehen können. Die tagtäglich gelebte und wahrgenommene Beziehungsrealität bestimmt den Umgang mit und das Erleben der sich verändernden Variablen am Arbeitsplatz. So sieht es auch das Bundesamt für Statistik: «Die Ergebnisse der Schweizerischen Gesundheitsbefragung des Bundesamtes für Statistik von 2002 bestätigen die Vermutung, dass ein schlechtes psychologisches und soziales Arbeitsumfeld der Gesundheit der Erwerbstätigen zusetzt.» (BFS, Pressemitteilung 23.11.2004, S.1)
«Dieser Früherfassungs-Entscheid fällt nicht nach einem langwierigen Aktenstudium und zahlreichen, komplexen Abklärungen, sondern basiert auf einer ersten, raschen Einschätzung der Situation. Liegt keine invaliditätsrelevante Problematik vor, hält die IV-Stelle fest, ob sich die Situation ohne weitere Unterstützung normalisieren wird. Kommt die Früherfassung jedoch zum Schluss, ohne geeignete Maßnahmen drohe die Invalidität, wird die betroffene Person zur Anmeldung bei der IV aufgefordert.»
Diese Vorgehensweise öffnet Tür und Tor zu völlig willkürlichen Vorgehensweisen. In einem Konflikt kann der Arbeitgeber mit der Meldung bei der IV drohen. Diese führt zu einer absolut oberflächlichen, inadäquaten Situationsbeurteilung unter Ausschluss von wechselseitigen Beeinflussungsanteilen zwischen Arbeitskontext und Mitarbeiter, welche die Erkrankung des Arbeitnehmers begünstigt haben. Die erkrankte Mitarbeiterin wird zur Anmeldung bei der IV aufgefordert. In der Folge steht sie unter Druck an den Maßnahmen der Frühintervention teilnehmen zu müssen.
Sollte sie zum Schluss kommen, diese Maßnahmen seien für sie völlig inadäquat, sie verschlimmern ihre ängste und ihre depressiven Episoden, weil zum Beispiel von ihr verlangt wird an ihren angestammten Arbeitsplatz zurück zu kehren, ohne dass Veränderungen im Arbeitskontext vorgenommen wurden, dann ist noch völlig offen, wer über die Zumutbarkeit der Maßnahme bestimmt. Eine Flut von ärztlichen Gutachten und Gegengutachten, von Berichten der Früherfasser und Maßnahmenleiter ist unausweichlich die Folge. Am Schluss bleibt vielleicht nur noch der Ausweg, sich wieder von der IV abzumelden und Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen.
Gerade solche Kommentare, welche den Beweis dafür antreten, dass der Versicherungs- und damit der Mitwirkungs-, aber auch der Schadenminderungsgedanke bei behandelnden ärzten zuweilen nicht verstanden wird, muss künftig dazu führen, dass diese zwar die Befunde erheben und (zumindest bei psychischen Gesundheitsschäden laut neuer Rechtsprechung obligatorisch) Diagnosen stellen, für die Beurteilung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit jedoch die regionalen ärztlichen Dienste (RAD) zuständig sind.
Was sind ’solche Kommentare›? Bist du ein medizinischer Fachmann, dass du den Bericht eines hochqualifizierten Arztes derart abwertest?
Megalomanie oder zu deutsch Grössenwahn ist auch eine psychische Krankheit und hat schon manches Unternehmen in die Tiefe gerissen -> Swissair beispielsweise.
Die RAD bestehen auch nur aus ärzten, mit dem kleinen aber signifikanten Unterschied, dass sie aufgrund ihrer Abhängigkeit des Arbeits- oder Auftraggebers, der Versicherungen nämlich, plötzlich zu nicht denselben Schlussfolgerungen und Diagnosen kommen wie der bereits seit Jahren behandelnde Arzt.
Die eminente Gefahr besteht, insbesondere durch die Aufweichung des Arztgeheimnisses, dass, getreu dem Volksmund, ‹wes Brot ich ess, des Lied ich sing›, Gefälligkeitsgutachten zu Gunsten der Versicherungen entstehen.
Im Übrigen ist das Schnee von vorgestern! Seit der 4. IV-Revision, also seit 2003, wird die Methode des RAD bereits angewendet.
Vorweg: Die 4. IV-Revision tratt am 1.1.2004 in Kraft und in den meisten Kantonen wurden die RAD erst am 1.1.2005 operativ.
Das Bundesgericht vertritt gerade die gegenteilige Ansicht bezüglich der Gewichtung von ärztlichen äusserungen. Es führt in ständiger Rechtsprechung aus, dass Berichte von Hausärzten bzw. behandelnden ärzten insofern mit Vorsicht zu geniessen seien, als sich diese in einem Interessenkonflikt (es einerseits dem Versicherten recht machen zu wollen und andererseits eine richtige Auskunft geben zu wollen) befänden und deshalb im Zwiefelsfalle zu Gunsten des Versicherten aussagen würden. Berichte des RAD oder von SUVA-ärzten sind hingegen ohne gegenteilige Anzeichen als neutral zu qualifizieren und als Beweismittel voll tauglich.
Mit «solche Kommentare» meine ich die Aussage von Medizinern. Zur medizinischen Seite gesellt sich nämlich die Frage der gesellschaftlichen Konvention, welche im Gesetz ihren Niederschlag findet. Dies führt im IVG dazu, dass den Versicherten viel mehr Selbstverantwortung übertragen oder auferlegt wird, als dies die Mediziner gerne hätten. So ist es z.B. einem Drogenabhängigen grudsätzlich zumutbar den Drogenkonsum unverzüglich einzustellen, weshalb reine Drogensucht keinen invalidisierenden Gesundheitsschaden darstellt.
Was soll an einem Arzt schlecht sein, der einen Patienten meist sein Leben lang begleitet, und sich zu seinem Wohl einsetzt? Das ist der hypokratische Eid und dazu ist er verpflichtet. Und das Arztgeheimnis ist unantastbar, genauso wie das Anwaltsgeheimnis, das Postgeheimnis, das Bankgeheimnis, usw. usf.! Oder wollt ihr die Demokratie völlig demontieren?
Als nächstes kommen wohl die Rechtsanwälte dran, die dem Staatsanwalt sämtliche, unter das Anwaltsgeheimnis fallenden Informationen preisgeben müssen. Wenn hier ein Arzt als Anwalt des Patienten, wovon er ja was versteht, agiert, dann ist dies die Berufung eines Arztes. Ansonsten hätte er seinen Beruf verfehlt.
Ein Kranker ist eh schon in der Defensive, nicht fit um sich mit Behörden herumzuschlagen – ER IST KRANK – und deshalb in einer denkbar schlechten Position, sich auch noch für seinen Zustand rechtfertigen zu müssen. Kein Kranker sollte das jemals tun müssen, die Krankheit ist bereits Strafe genug und so soll es bleiben – das Rechtfertigen verbietet die Menschenwürde.
Ausgerechnet in dieser Situation der Hilf- und Wehrlosigkeit soll er IV-RAV-Kürsli besuchen, von Gutachter, ärzten, Kliniken, Care-Management, IV und sonstigen -> Parasiten der 5. IV-Revision hin- und hergeschoben werden, sich mit dem Arbeitgeber streiten oder sich sonstwie stressen lassen MÜSSEN, anstatt zu gesunden? Wie dumm muss man denn noch werden?
Es käme die IV um einiges günstiger, dem Patienten erst die Chance zur Genesung zu geben, anstatt bereits nach vier Wochen eine unangebrachte Aktivitis von ihm zu fordern und ihn somit zu einem garantiert sicheren chronisch Kranken IV-Fall werden zu zwingen.
Du gehst von der falschen Prämisse aus, dass jeder IV-Bezüger ein Scheininvalider ist – und dieses unterschwellige und überhebliche Vorurteil geht mir echt zuwider – ich könnte kotzen.
Es gibt immer verabscheungswürdige Menschen, doch ich bin ein Optimist und glaube trotzdem an das Gute in einem Jeden. Früher oder später erhält trotzdem jeder auf irgendeine, meist andere Art und Weise im Leben das zurück, was er sät; und das ist stets garantiert, denn es gibt eine unbewusste ausgleichende Gerechtigkeit und niemand weiss weshalb (ich spreche aus eigener Erfahrung). In deinem Falle möchte ich nicht in deiner Haut stecken, denn dies ist eines der wenigen universellen, aber den Schweizer Gesetzen übergeordnetes, Gesetz der Natur.
Siehe auch mein Beitrag: Vor 10 Jahren – Holland machte denselben Fehler.
Es geht hier doch nicht um irgendwelche Glaubens-Diskussionen, ob irgendetwas auf mich zurückfällt oder nicht.
Es geht auch nicht darum, ob ich in jemandem einen Betrüger sehe oder nicht. Ist jemand ein Betrüger gilt es diesen, da sind wir uns sicher einig, zur Strecke zu bringen. Diese Fälle sind jedoch – und da spreche ich nicht ganz ohne Erfahrungen – sicher relativ selten.
Die wirkliche Frage ist, was ist bei der Invalidenversicherung versichert. Da kann man relativ einfach feststellen, dass es der Invaliditätsfall ist. D.h. die Unfähigkeit Geld zu verdienen ist versichert. Dies hat zur Folge, dass ein Pianist, der seinen kleinen Finger verliert, seinen Beruf nicht mehr und auch keine gleichwertige Tätigkeit mehr ausüben kann, was dazu führt, dass er umgeschult (z.B. zum Dirigententen) werden muss, was die IV bezahlt. Ein Bauarbeiter, der seinen kleinen Finger verliert, kann immer noch gleich viel Geld verdienen, was dazu führt, dass die IV nichts bezahlt, der er gemäss Definition der Invalidität gar nicht invalid ist. Medizinisch sind die Fälle ja wohl gleich, dies interessiert die IV jedoch nicht. Genauer: Der med. Teil, bzw. der Gesundheitsschaden ist eine notwendige jedoch nicht hinreichende
Voraussetzung für die Invalidität. In unserem Falle hatte der Bauarbeiter sicher auch Schmerzen und litt. Er hat aber keinen Anspruch auf eine Leistung, da das Leiden oder der Umstand eines Fingerverlustes nicht bei der IV versichert ist. Dies ist nicht meine Wertung, sondern eine gesellschaftliche, welche sich im Gesetz wiederspiegelt.
Damit gehe ich mit dir völlig einig und die IV auch, und auch die Gegner der IV-Revision, und das seit 1959. Aber ein bisschen Nachhilfe in Sozialkunde hat ja noch niemandem geschadet 🙂
Warum schreibst du eigentlich immer hier im Blog und nicht im Forum? Hier habe ich nur begrenzten Speicher zur Verfügung ohne draufzahlen zu müssen…
Apropos Nachhilfe Sozialkunde. Hier ein wenig Nachhilfe in Politik und Juristerei: Der erste Schritt um ein Problem zu lösen ist die Analyse. Dazu ist es notwendig, dass man das Problem sauber zuordnet. Die von Dir geschilderten Probleme sind sozialer und nicht sozialversicherungsrechtlicher Natur, womit sie entweder über die Sozialhilfe oder bei genügender Ausprägung mit der Krankenkasse zu lösen sind.
Apropos Forum. Wie schreibe ich dort?
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Gruss
Carolus Magnus