Die Ignoranz der Tabakkonzerne
Fortsetzung von gestern
Die Argumentation, dass Rauchen ja nun völlig überflüssig sei, und deshalb Raucherinnen und Raucher ja wohl wenigstens auf ökologische und soziale Standards achten könnten, ignoriert die Tatsache, dass dies für einen Grossteil unseres Lebens- und Genussmittelkonsums gilt. So könnten wir z.B. auch problemlos auf Salz und Zucker verzichten. Die wenigsten kaufen aber ausschliesslich fair gehandelten und ökologisch angebauten Zucker, und bei Salz achten auch nicht viele darauf. Aber auch für Salz und Zucker würde gelten, dass wir ohne ihren Konsum gesünder lebten.
Die Reduktion des politischen Handelns auf individuelles Agieren als Konsumentin und Konsument stellt eine gefährliche Kurzschlussargumentation dar, die die realen Möglichkeiten gesellschaftlich verantwortungsbewussten Eingreifens eher verhindert als dass es ihnen nutzt. Unsere Wahlfreiheit als Einzelner ist doch sehr begrenzt. Wir stossen sehr schnell an finanzielle und strukturelle Grenzen. Letztendlich gerät die individuelle Schuldzuweisung so schnell zur Ablenkung von den realen gesellschaftlichen Strukturen, die unser Leben und unsere Freiheit gefährden. Angesichts der Übermacht der Zwänge, in denen wir uns alltäglich bewegen, ist eine solches Ausweichen, eine solche Verdrängung der Realität psychologisch verständlich, weiterhelfen tut sie aber nicht.
Raucherinnen und Raucher zu Sündenböcken zu stempeln, ist so für Antiraucherinnen und Antiraucher oft nur ein bequemer Ausweg um die eigene Ohnmacht angesichts gesundheitlicher Gefahren zu kaschieren. Damit werden Problemlösungen aber eher verhindert als gefördert. Und dies gilt nicht nur für die Vielfalt gesundheitlicher Gefährdungen, die halt eben nichts mit dem Rauchen zu tun haben, sondern auch für die Tabakproduktion und ihr eigenes Risikopotential.
So gäbe es eine Vielfalt an Möglichkeiten Tabakwaren weiterzuentwickeln. Denkbar wäre zuerst einmal, die Einführung eines Fairhandelszeichens, die Einforderung von ökologischen Standards, das Weglassen von Zusatz- und Verarbeitungsstoffen, die Verwendung z.B. von Hanf statt Papierblättern, die Weiterentwicklung von Zigarren und Zigarillos für den Massenkonsum, moderne Pfeifenkonstruktionen, und vieles mehr, was sowohl dem Genuss, als auch der Umwelt und der Gesundheit dienen würde.
Zurzeit verhindern aber die von den US-Konzernen beherrschten Kartelle und Oligopole fast alle sinnvollen Innovationen. Und jegliches kritische Engagement von Raucherinnen und Rauchern in dieser Richtung wird durch die unglückliche Koalition der Tabakkonzerne und Antirauchlobby behindert. Die ideologische Verfolgung des Rauchens durch die Antirauchfraktion bewirkt hier leider häufig, dass Raucherinnen und Raucher in eine unsinnige Solidarisierung mit der Tabakindustrie gezwungen werden. Eine differenzierte Kritik und die Einforderung von sozialen und ökologischen Standards bei Tabakproduktion und -vertrieb und auch die Einforderung der Entwicklung anderer innovativer und verbrauchergerechterer Tabakwaren gerät so häufig ins Abseits. Eine Kritik der Kampagnen der Tabakindustrie ist aber aus rauchfreundlicher Sicht dringend notwendig, gerade um die ideologische Verkürzung der Antiraucherinnen und Antiraucher, die jede Form des Rauchen und alle Tabakwaren über einen Kamm scheren, zu durchbrechen. Und auch um die falsche Ideologisierung des Rauchens durch die Tabakkonzerne in die Kritik zu bekommen. Dies gilt insbesondere für eine dringend notwendige Kritik einer teils unerträglich sexistischen und konsumfetischistischen Zigarettenwerbung.
Die Tabakwerbung unterscheidet sich leider nicht wesentlich von anderer Werbung. Hier lassen Männerkumpaneien die die Stuten jagen und den Hengst beherrschen mit tiefer Stimme verlauten wie toll sie doch sind, hier werden junge hippe Reiche und leistungsfixierte Karrieristen und Karrieristinnen als Vorbild der neuen Generation abgefeiert, hier werden aber auch klischierte Stereotype heterosexueller Anmache mit dem Anmachen der Zigarette in Zusammenhang gebracht. Nicht nur die Werbung für Milchprodukte arbeitet also mit sexistischen Klischees.
Die Tabakindustrie ist auch wesentlich mitbeteiligt am Image der Zigarre als Phallusersatz für Männer in einem Alter, in dem die ersten Potenzprobleme auftreten. Auch Pfeifen, Zigarillos oder Kautabak werden üblicherweise ausschliesslich mit älteren Männern in Zusammenhang gebracht. Damit wird die Wahl alternativer Rauchprodukte gerade für Frauen ausgesprochen erschwert. Für manche wären sie ansonsten wahrscheinlich sowohl aus geschmacklicher wie gesundheitlicher Sicht eine Alternative zur Zigarette.
Der emanzipative Schritt in dem sich Frauen hier nicht weiter zu Ungunsten ihrer Gesundheit von sexistischen Klischees bevormunden lassen, steht aber noch aus. Die Tabakindustrie setzt leider weiter auf die Reproduktion altbackener Stereotype.
Besonders menschenfeindlich wird die Zigarettenwerbung dort, wo sie, der totalitären Gesundheitsideologie folgend, mit gesunden Körpern in Hochleistungsposen die Leistungsideologie und den Fetisch Sport bedient. Hier wird die Zigarettenindustrie selbst zum Teil eine präfaschistische Gesundheitslobby, die mit dem Wiederaufnehmen der Riefenstahl-Ästhetik auch die Inhalte faschistischer Propaganda übernimmt. Denn die Aussage, dass nur gesunde Menschen glücklich sind, ist faschistisch. Glück, Leistungsfähigkeit und eine biegsame und stählerne Körperfitness in eins zu setzen ist offensichtlicher Unsinn. Um das zu begreifen brauche ich mir nur die alltäglichen verkniffenen Minen dieser selbsternannten «Leistungseliten» und ihre neidischen Hasstiraden gegenüber Menschen, die sich durch diese Leistungsideologie nicht unter Druck setzen lassen, betrachten.
Welcher unmenschliche Druck hier ausgeübt wird, macht insbesondere die Light-Produkte Werbung deutlich. Hier wird mit Frauen, denen akute Mangelernährung anzusehen ist, für ein Schönheitsideal geworben, bei der zum Leistungsfetisch noch die Selbstkasteiung diverser Schlankheitsrituale hinzukommt. Auch hier ist sich die Zigarettenindustrie nicht zu schade, diese lust-, genuss- und leibfeindliche Propaganda mitzumachen.
Eine Propaganda, die, da sie sich vor allem an Frauen wendet, auch frauenfeindlich ist, denn es geht bei diesem Schönheitsideal nicht unwesentlich darum in der Neuauflage alter puritanischer Ideale den sexuellen Leib der Frau aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Diesmal geschieht dies nicht durch eine repressive Kleiderordnung, sondern in dem man ihr das eigene aushungern schmackhaft macht, bis ihr Körper dem männlichen Ideal einer knabenhaften Weiblichkeit genügt. Letztendlich spiegelt sich hier nichts anderes als die männliche Angst vor weiblicher Sexualität, der sexuellen Potenz vor Frauen.
Konsequent weitergedacht führt die Gleichsetzung von Glück und Gesundheit auf direktem Weg zur Eugenik, zur Ermordung sogenannten lebensunwerten Lebens. So argumentiert der von Neonazis gern gelesene Autor Peter Singer denn auch mit der Begründung für ihre Ausrottung, dass Behinderte nicht so glücksfähig wären. Glück hat nichts mit (Massen-)Funktionalität zu tun. Glück ist sehr schwer zu fassen und auf keinen Fall in Massstäben von Tabellen oder statistisch mathematischen Kalkulationen unterzubringen. Diejenigen, die wie die Antirauchfraktion dies versuchen, haben offensichtlich in ihrem Leben noch nicht viel Glück erlebt. Glück für sich und andere, das bedeutet häufig auch sich verschenken, sich hingeben, sich verschwenden zu können, einfach einmal fünf gerade sein zu lassen. Hier sind Raucherinnen und Raucher geradezu ein Vorbild. Denn Raucherinnen und Raucher verschwenden tatsächlich ein Teil ihres Geldes und Lebens. Eben gerade dies sollte zum Vorbild in einer Gesellschaft genommen werden, die an einem Übermass von Funktionalismus, einem Übermass an Vernunft zu ersticken droht. Gerade die Verausgabung ohne direkte konkrete Gegenleistung ist eine Grundvorrausetzung für Glück, Lust und Liebe, ja für ein soziales Miteinander insgesamt.
Rauchen und Konsum sind nicht die Utopie der Freiheit, dies wäre eine ideologische Verdrehung politischer Begriffe, wie sie durch die Tabakkonzerne ja gerne vorgespiegelt wird. Aber die Fähigkeit zur Unvernunft, die Verweigerung eines rein funktionalen Konsums sind Teile, aus denen so etwas wie die Utopie eines anderen Lebens entstehen könnte. Leistungsideologie, die Rede ist vom vernünftigen, an den Notwendigkeiten einer menschenfeindlichen Industriegesellschaft ausgerichteten Handelns, führen in der totalen Konsequenz, wie sie von Antirauchern und Antiraucherinnen so exemplarisch vorexerziert wird, zu einer Moral der Ausgrenzung der sozial Schwachen und der Ausrottung von Allem, was nicht in die funktionale Norm passt.
Die Tabakkonzerne schaufeln mit der am allgemeinen Gesundheitsfetischismus orientierten Werbung mit an ihrem eigenem Grab. Denn es ist ja eben dieser nicht unwesentlich von der Tabakwerbung forcierte Gesundheitsfanatismus, der als fundamentalistischer Glaubenskrieg sich eben auch gegen die Tabakkonzerne und das Rauchen wendet. So unterstützen denn die Tabakkonzerne den Glaubenskrieg der Antiraucherinnen und Antiraucher in einer unheiligen Co-Union. Das Banner dieser Glaubenskrieger ist heute der Satz; «Rauchen tötet.»
Noch einmal zum Schluss, das Problem liegt nicht in diesem Satz. Das Problem liegt darin, was dieser Satz alles verschweigt. Ich habe nichts gegen Auszeichnungspflicht bei Lebens- und Genussmitteln. Eine Auszeichnungspflicht hingegen macht nur Sinn, wenn sie auch differenzierte Informationen liefert und nicht nur einzelne Produktgruppen, wie Tabakwaren, diskriminiert. Auch bei Zucker, Salz und erst Recht bei genetisch hergestellten Lebens- und Genussmitteln muss eine differenzierte Auszeichnung zur Pflicht werden.
Gut wäre sogar ein noch sehr viel allgemeineres Recht auf Information. Z.B. der Information der Bürgerinnen und Bürger, über die Verwendung aller ihrer Daten – im Sinne eines Rechts über die eigenen Daten zu verfügen, einer Information über Orte an denen eine Kameraüberwachung stattfindet und die weitere Verwendung der Bilder – im Sinne eines Rechts auf das eigene Bild, usw.. Insgesamt muss der mündigen Bürgerin und dem mündigen Bürger eine allgemeine Informationspflicht der Konzerne und des Staates zugestanden werden, um ihr und ihm eine differenzierte Entscheidung überhaupt zu ermöglichen.
Nur müsste dann womöglich bei manchem Fast-Food-Riesen ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen darunter ins Firmenlogo aufgenommen werden.
Revised by Carolus Magnus
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