Verkaufsverbot für Velos ohne Licht, staatlich geführter Kampf gegen Streß und ein Bundesrat, der sich für die Rechte von Schwulen und Lesben in der Welt einsetzen soll – dürfen wir vorstellen: die dümmsten, frechsten und sinnlosesten Vorstöße unserer Parlamentarier.
Drei Dinge sind es, die unsere Parlamentarier in Bern am liebsten tun: Zeitungen lesen, Kaffee trinken – und Vorstöße einreichen. 1.581 harren zur Zeit ihrer Erledigung, liegen unbehandelt in den Katakomben des Parlamentsgebäudes, müßten irgendwann in der Politarena des Parlaments beraten werden. Müßten. Das Parlament ist derart überlastet, daß fast jeder zweite Vorstoß nach zwei Jahren «abgeschrieben», das heißt undiskutiert weggeworfen wird.
Die Lage ist derart, daß viele von der Verwaltung beantwortete Vorstöße bei ihrer späteren Behandlung, falls sie es denn ins Halbrund des Parlaments schaffen, von den Beamten nochmals beantwortet werden müssen, weil sich bereits wieder derart viel Staub auf der Antwort angesetzt hat.
Warum tun sie es trotzdem? Warum schreiben die Volksvertreter Vorstoß um Vorstoß und fühlen sich dabei, als könnten sie 50 vom Trumpf Ass weisen und der Partner hätte das Nell? Dies im Wissen darum, wahrscheinlich gar nie zum Stich zu kommen? Warum tun sie das?
Josef Zisyadis (PdA, VD) möchte, daß der Bundesrat den Verkauf von Velos ohne Beleuchtung verbietet. Man fragt sich, ob der Mann noch unter anderen Problemen leidet. Für Toni Brunner (SVP, SG) hat es während der Sessionen zu wenig Fahnenschmuck am Bundeshaus: Er verlangt, daß künftig auch die Kantonsfahnen auf dem Nordbalkon aufzuhängen seien, wobei sich die Schweizer Fahne «in Grösse oder Aufhängung» von diesen abzuheben habe. Der Bundesrat hält das für übertrieben und fragt zurück: «Welche Steigerungsform bliebe dann noch für die Festanlässe?» Simon Schenk (SVP, BE) hat ein Problem mit der automatisch schließenden Barriere in Kemmeriboden (Gemeinde Schangnau), die dort installiert werden sollte. Laut Schenk wären drei Höfe, 43 Kühe und 31 Rinder betroffen. Er hat die zwei Beamten vergessen, die seinen Vorstoß beantworten mußten. Dominique de Buman (CVP, FR) verlangt, daß das Abbilden der Frucht auf Eisteeverpackungen künftig wie in der EU erlaubt wird. Warum auch nicht? Etwas bizarr zwar, dieses Begehren, doch seis drum. Dumm nur: Der emsige Politiker hätte sich besser informieren sollen. Bereits seit Januar sind Fruchtbilder auf Eisteeverpackungen nämlich erlaubt.
Solche Späße kosten Millionen
Ein Vorstoß ist nicht gratis; allein die 291, die in der Märzsession eingereicht wurden, kosten die Steuerzahler 1,2 Millionen Franken (4.200 Franken pro Vorstoß im Durchschnitt). Warum tun unsere Parlamentarier das?
Den jurassischen Gewerkschafter Jean-Claude Rennwald (SP) plagt Folgendes: «Das Freizeitangebot ist heute groß, der Zugang hingegen ist nicht für alle gleich einfach.» Kein Postulat ist den Räten zu dumm, keine Interpellation zu gesucht. Dem Zürcher Minderheitenpolitiker Mario Fehr (SP) sind die «Menschenrechte für Schwule und Lesben» ein Anliegen. Weil dies in der Schweiz aber kein Problem mehr ist, wie der Interpellant selber anmerkt, hat er ein Problem. Deshalb soll sich der Bund im Ausland für die Menschenrechte für Schwulen und Lesben einsetzen. Warum tun unsere Parlamentarier das? Warum müssen sie derart ungehemmt drauflosvorstoßen?
Eine eigene Gattung sind die frechen Vorstöße. Bergbauern respektive ihre Fürsprecher sind besonders begabt in diesem Fach. Theo Maissen (CVP, GR) forderte vom Bundesrat einen Bericht («Eine Zukunft für die Schweizer Schafwolle»), der aufzeigt, wie der Schafwolle neue Absatzkanäle zu erschließen seien. Schafwolle will niemand kaufen, deshalb wird sie verbrannt. Weil aber der Bund Schafzüchter mit Millionen subventioniert, gibt es viele Bergbauern, die viele Schafe halten mit viel Wolle am Leib. Die Regierung antwortet, daß es nicht zu den Kernkompetenzen des Staates gehöre, die subventionierte Schafwolle auch noch zu vermarkten. Recht hat sie! Doch was hält den Bundesrat ab, einen parlamentarischen Vorstoß gegen die Subventionen einzureichen, statt dem Armenquintil weiter das Wasser und das Geld zum Überleben abzugraben?
Die Grüne Francine John-Calame (NE) führt per Eingabe den «Kampf gegen den Streß». Der Berner EVP-Politiker Walter Donzé bohrt philosophisch tief und ersucht die Regierung, «eine Reihe von Werten zu definieren, die unserer Gesellschaft Sinn, Zusammenhalt und Zukunftsperspektiven gewähren». Warum bittet er nicht gleich um Einführung der Monarchie? Der König oder die Königin könnte dann dem Volk jeden Morgen im Radio erklären, warum es überhaupt noch aufstehen soll.
Warum tun sie das? Man stellt sich vor: Nach sieben Stunden Ratsdebatte über die Revision der Revision des Gesetzes über die berufliche Vorsorge, Paragraph 7, Minderheitsantrag 2, die Luft im Saal schon etwas dick, die Zeitungen zerlesen, das Gehirn hat bereits auf Notversorgung umgestellt – da kritzeln sie dann ihre Vorstöße hin und lachen sich ins Fäustchen. Aus diesem Grund tun sie es: Sie wollen auch mal lachen.
Bernhard Hess (SD, BE) macht sich in solchen Momenten Sorgen um die Sportschiedsrichter. Deshalb sollen Angriffe auf sie von Amts wegen verfolgt werden, so lautet sein Vorstoß. Die Folge wäre, daß regelmäßig gegen Hunderte von Fußballfans, die im Chor den Schiedsrichter verspotten, ein Strafverfahren eingeleitet werden müsste. Der Bündner Christoffel Brändli (SVP) möchte vom Bund Geld, um in der Schweiz nach Erdgas zu bohren. Erdgas? Zwischen 1985 und 1994 wurde in Finsterwald LU tatsächlich eine kleine Menge davon gefördert – mit 27 Millionen Franken Verlust.
Medien und Publikum applaudieren
Und noch einen: In einem Gespräch über den Schriftsteller Robert Walser habe Bundesrat Hans-Rudolf Merz in einer Zeitung eine «unglaubliche Sensibilität für die Schwachen und Bedrängten in unserer Gesellschaft zum Ausdruck gebracht». Weshalb diese «wertvollen Eigenschaften» in den Entscheiden des Bundesrats so wenig wiederzuerkennen seien, will Andreas Gross (SP, ZH) wissen. Da hat aber einer mit gespreiztem kleinem Finger geschrieben. Christoph Mörgeli (SVP, ZH) wittert in einer Stellenausschreibung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten eine Verschwörung von Linken und Netten, weil der Bewerber für ein Diplomatenamt in den USA die «political correctness» beherrschen müsse. Der Bundesrat belehrt Mörgeli, daß «political correctness» in den USA und in der Diplomatie nicht das bedeute, was bei uns ungenau mit «politisch korrekt» übersetzt werde. Mörgeli hätte es ohne diesen Umweg haben und seine Gattin fragen können: Sie ist nämlich Amerikanerin.
Da loben wir doch die Methode Ulrich Giezendanner (SVP, AG), denn die ist kostenlos. Via «Sonntags-Zeitung» kündigt er einen Vorstoß an: Jede dritte Verkehrstafel soll entfernt werden, weil überflüssig. Das Publikum klatscht Beifall. Das ist Ankündigungspolitik by Sonntagspresse und führt erst noch zu einer Situation mit lauter Gewinnern (Win-win-Situation): Der Politiker kommt in die Zeitung, der Journalist hat seine Schlagzeile und der Leser seine Freude. Wen kümmerts, daß der Vorstoß überhaupt nie eingereicht wurde. So ein Schlaumeier.
[Schweizerischer Beobachter]