Seldwyla
Erster Schneefall. Ein Automobilist fuhr mit seinem sommerbereiften Auto auf einer steilen Nebenstraße und will vorsichtshalber, angesichts des neu gefallenen Schnees, sein Auto am Straßenrand parken. «Nichts da!» befahl ihm eine resolute Polizistin, die dort gerade zufällig ihre Füße platt stand. «Hier dürfen Sie nicht parken! Fahren Sie weiter!», schallte es von draußen durch die heruntergekurbelte Seitenscheibe. Er tat wie ihm geheißen und nach wenigen Minuten knallte er in ein anderes Auto – und hatte eine Busse von 320 Franken in die Staatskasse abzudrücken. Eine Parkbusse wäre wohl billiger gekommen.
Modernes Raubrittertum ist heute wieder genauso gesellschaftsfähig wie vor 300 Jahren bei den aus dem Süden kommenden Händlern, die mit Eselskarren Nürnbergs Markt mit Gewürzen belieferten und bei jeder Brücke oder bei jedem Talausgang Zoll bezahlen mussten, nebst den Schmiergeldern an die Räuber links des Rheins. Trotzdem lohnte sich damals das Geschäft. Genau so wie heute.
Der unfallverursachende Automobilist fühlte sich von der Polizistin verständlicherweise verarscht und ging durch alle Instanzen bis vor Bundesgericht. Die obersten Schweizer Richter hingegen bekundeten kein Einsehen und schoben die Verantwortung dem verantwortungsvollen Fahrer zu, weil dieser mit einem «nicht betriebsicheren Auto» unterwegs gewesen sei. Er hätte entweder Winterreifen montieren oder dann die steile Straße meiden müssen…
…was er doch beim Parkversuch auch tat und von einer übereifrigen Polizistin daran gehindert wurde.
In der Schweiz gibt es meines Wissens keine Winterreifen-Pflicht. Ich sehe hier also nichts anderes als den Versuch der Lausanner Richter, die Polizei für die Folgen ihrer eigenen Dumm- und Sturheit nicht allzu lächerlich dastehen zu lassen und insbesondere nicht die Verantwortung für ihr Tun übernehmen zu müssen. Ein wahrlich haarsträubend, äh, weises, äh wegweisendes Urteil für die Zukunft. Muß man jetzt den polizeilichen Befehlen Folge leisten oder tut man besser daran, selbst den Kopf einzuschalten? Eine verzwickte Frage, denn so oder so gibt es eine Busse, wenn nicht gar eine Übernachtung auf Staatskosten.
Obwohl wir bereits mehr Straßenschilder als Tannen in der Schweiz stehen haben, plädiere ich für ein rotes Dreiecks-Signet, analog dem der «Achtung – Schulkinder», mit der Aufschrift «Achtung – Polizei», denn beide Minderheiten können weder Gefahren antizipieren, noch ist ihr Gehirn bereits voll ausgereift – sommers wie winters.
[Carolus Magnus]